Ein Geschenk der Natur mit zwei Seiten

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Die Glocke, Gütersloh, 19.11.2013

Gütersloh (din) - Zwischen Freude über ein Geschenk der Natur und Ernüchterung über das tatsächliche Entwicklungspotenzial für Gewerbe auf dem Flugplatzgelände an der Marienfelder Straße hat die Stimmung am Montag im Rathaus geschwankt.

Rund um die Militäranlagen hat sich die Natur weitgehend unbeeinträchtigt entwickeln können. Biotope, Pflanzen und Vögel gelten als so wertvoll, dass zurzeit nur die schon bebauten Flächen entlang der Marienfelder Straße für eine gewerbliche Nutzung infrage zu kommen scheinen.

Nach den Kreispolitikern ließen sich auch die Gütersloher Fachausschüsse die Ergebnisse der Biotopkartierung sowie die Bestandsaufnahmen für Flora, Fauna und Altlasten schildern. Wie mehrfach berichtet, haben Gutachter auf den Freiflächen beiderseits der Landebahn eine Artenvielfalt und einen Biotopreichtum festgestellt, wie er in der Form landesweit seinesgleichen sucht.

„Das ist die größte Fläche an gesetzlich geschützten Biotopen, die ich seit 1995 erfasst habe“, sagte Ulrich Cordes von Büro LökPlan aus Anröchte. Mit allein 44,5 Hektar schlage die Heidenelkengesellschaft zu Buche, die in NRW vom Aussterben bedroht sei. Man könne ohne Weiteres von einer „Landesgartenschau der Natur“ sprechen. Sein Auftraggeber Dr. Klaus Stroscher vom Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) erklärte: „Ein Spielraum für die bereits kartierten Flächen besteht nicht.“ Sie dürften Kraft Gesetzes nicht überplant werden. Das betrifft einschließlich noch zu kartierender Flächen gut 176 der insgesamt 344 Hektar des Kasernengeländes. Eine Gewerbeentwicklung im nördlichen Bereich sei hingegen nicht ausgeschlossen. Bernhard Walter von der Biologischen Station Bielefeld/Gütersloh hatte im Auftrag der Stadt die Vogelwelt untersucht und war zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Vom Rebhuhn über Brachvögel und Feldlerchen bis zum Wiesenpieper brüten Offenlandvögel auf dem Areal, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen. Das Vorkommen etwa des Großen Brachvogels (vier Brutpaare) und der Rohweihe schlössen eine Windkraftnutzung auf dem gesamten Flugplatzgelände aus, sagte Walter. Auch von Photovoltaikanlagen auf der Landebahn riet er ab. Er plädierte dafür, das gesamte Offenland unter Naturschutz zu stellen.

In einer Sitzung des Haupt-, Planungs- und des Umweltausschusses wurden die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Dreieinhalb Stunden befassten sich die Kommunalpolitiker mit dem Flugplatzgelände an der Marienfelder Straße.

Das mussten die Fraktionen, die bisher auf eine großflächige Gewerbenutzung gesetzt hatten, erst einmal verdauen. Dr. Thomas Foerster (CDU) sprach von der „letzten Chance der Stadt Gütersloh zur Ausweisung einer nennenswerten Gewerbefläche“. Auch Gewerbeflächen seien in Gütersloh „vom Aussterben bedroht“, klagte Heiner Kollmeyer (CDU und Vorsitzender des Planungsausschusses). Dr. Siegfried Bethlehem (SPD und Vorsitzender des Umweltausschusses) sagte, es blieben noch rund 170 Hektar übrig, über die man in Ruhe nachdenken müsse. Dr. Thomas Krümpelmann (SPD) schlug vor, im Norden Gewerbe anzusiedeln: „Ein Industriebetrieb wie Miele kann da natürlich laufen.“ Wibke Brems (Grüne) hatte „ein großes Problem damit, wenn ein solcher Schatz ins Lächerliche gezogen wird, bloß weil es um kleine Pflänzchen geht“. Weltweit gehe die Artenvielfalt zurück, deshalb solle man in Gütersloh keine Ausnahme machen. Was an Windkraft und Photovoltaik möglich sei, müsse man ausloten. Dr. Wolfgang Büscher regte an, die Biotopkartierung – notfalls rechtlich – überprüfen zu lassen. Die Erste Beigeordnete Christine lang sah dafür aber „keinen Ansatzpunkt“. Was sich da entwickelt hat, war nicht abzusehen“, sagte Nobby Morkes (BfGT). Man solle darüber nachdenken, mit Gewerbe auf die andere Seite der Marienfelder Straße (B 513) zu gehen. Dort gebe es geeignete Flächen. Norbert Bohlmann (UWG) wies darauf hin, dass nach landesplanerischen Vorgaben nur der Flugplatz für eine Gewerbeentwicklung bleibe. Dabei sei die Stadt noch gar nicht Eigentümerin und werde es womöglich nie werden. Der Ratsherr vermisste einen Plan B. Für die Linken lehnte Manfred Reese eine großflächige Gewerbeentwicklung ab. Experten der Aachener ahu AG stellten eingangs Ergebnisse ihrer Altlastenrecherche vor. Büscher riet, den gesamten Bereich entlang der Ems noch einmal zu untersuchen und einen „Geigerzähler“ mitzunehmen um zu gucken, was dort in den 60er- und 70er-Jahren gelagert worden sei.

Bilder: Dinkels