Tacheles: Es fehlt ein geordneter Prozess

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GT-INFO, September 2013

Die Mehrheit der im Rat vertretenen Parteien haben sich vor der Kulturausschuss-Sitzung im September auf die Brüder Tim und Steffen Böning geeinigt. Das Rennen scheint gelaufen, die Übernahme der Weberei ist zurzeit das öffentliche Thema Nummer ein. Das Bürgerzentrum lässt (fast) keinen Gütersloher kalt. Zur Entwicklung und zum Bewerbungsverfahren redet in dieser Ausgabe Jürgen Droop „Tacheles“ ... Jürgen Droop ist Verteter der Bürgerinitiative „Demokratie wagen!“, die sich für Transparenz und Bürgerbeteiligung in dieser Stadt einsetzen ... 

Die Böning-Brüder gehen also als Weberei-Modernisierer durchs Ziel. Oder etwa doch nicht? Eine Mehrheit von CDU, Grünen, FDP und UWG flüsterte den Böning-Sieg zwar voreilig als Ergebnis einer Auswahlkommission, der offizielle Kulturausschuss tagt jedoch erst am 19. September. Die Kommission – mehr zufällig besetzt – hatte das Thema hinter verschlossenen Türen beraten. Es folgten parteiinterne Fraktionssitzungen - und dann die Verkündung. Übrigens zuerst auf facebook durch Mitbewerber Matthias Markstedt – und nicht von den Parteien. Auch Bewerber und Ratsherr Nobby Morkes nutzte facebook – zur Gratulation der vermeintlichen Sieger.

Zur Erinnerung: Im Frühjahr staunte die interessierte Öffentlichkeit ob der plötzlichen Kündigung des bisherigen Betreibers PariSozial und der folgenden Insolvenz. Ich rieb mir die Augen, als es dann politisch hieß „Wir wollen, dass sich engagierte Bürger für die zukunftsfähige Weiterführung der Weberei bewerben“. Dies unter der Maßgabe von „Bürgerbeteiligung“.

Wie diese Beteiligung aussehen sollte, bleibt bis heute ein Geheimnis. Ein „geordneter“ Prozess fehlt komplett. So entwickelte sich Öffentlichkeit lediglich in den lokalen Medien – und vor allem im Internet. Von der Politik hörte man wenig bis nichts. Von den Bewerbern gingen nur die Bönings persönlich mit ihrem Konzept an die Öffentlichkeit und machten mit ihrer Präsentation im Parkbad eine gute Figur. Auch etliche Politiker waren beeindruckt – und merkten nicht, dass sie dabei auch selbst vorgeführt wurden mit ihrer eigenen Verweigerung der Transparenz. Bürgerinnen und Bürger wollen aber vermehrt informiert werden, sich einmischen, wollen nicht bis zur Kommunalwahl 2014 warten. Vor allem haben sie eigene Erfahrungen und Meinungen zu den Bewerbergruppen, die sie einbringen wollen.

Für mich bleibt die Forderung nach Beteiligung zentral, gerade, wenn es um unsere Weberei geht. Schließlich wurde sie vor 30 Jahren von Bürgern gegen massiven Widerstand der Politik abgetrotzt, ein gutes Beispiel, wie Bürgerbeteiligung in einer Stadt nachhaltig zum Segen werden kann. Demokratie wagen!, für die ich mitstreite, haben einen Bürgerantrag für eine öffentliche Diskussion mit allen Bewerbern gestellt. Der liegt jetzt auf dem Tisch der bisher so schweigsamen Bürgermeisterin. Ob dem Antrag entsprochen wird – ich warte ab.

Die Bewerberkonzepte sind öffentlich, die Auswahlkriterien der Politik aber nicht. Wie soll später bewertet werden, ob die Entscheidung richtig war? Sind die Kriterien so schlecht durchdacht? Wenn es am Ende schief läuft, wäre es den Politikern ein Leichtes zu sagen „hat auch diesmal nicht funktioniert“. Erklären müssten sie wieder nichts. Präsent sind mir noch die Nebelkerzen, als es um die Arbeit der PariSozial ging: Kaum jemand kennt die Zahlen, das Vertragswerk und den wahren Werdegang des Untergangs. War die erste Insolvenz noch hausgemachtes Missmanagement früherer Geschäftsführer, so wurde die zweite im Rathaus verursacht durch wiederholtes Kürzen des städtischen Zuschusses und die überhas­tete Annahme der Kündigung, verantwortet von den Ratsleuten, die sich nun als die Retter und Verkünder darstellen.

Ungeklärt ist, wo Raum bleibt für die engagierten Bewerber Kirchhoff, Hensdiek und Huhn, die bereits viel Schwung in die Weberei gebracht haben. Es wäre gut, wenn sie ihre Bewerbung weiter aufrecht erhalten, damit die Wahl bleibt. Was wäre, wenn die Bönings mit den Bedingungen des Insolvenzverwalters nicht klar kämen oder sie sich mit ihren Forderungen an die Stadt nicht durchsetzen könnten?

In den Händen der PariSozial war die Weberei einfach unterfinanziert. Vergleichbare Soziokulturelle Zentren anderer Städte bekommen weit höhere Zuschüsse. Es bleibt abzuwarten, ob eine neue Führung mit neuen Konzepten dieses Problem überwinden kann. Die Qualität der Bewerbungen litt unter enormem Zeitdruck, denn längst nicht alle notwendigen Planungszahlen liegen vor. Vieles basiert auf Vermutungen und Schätzungen. Das birgt das Risiko, dass die Neuvergabe wieder nicht von Dauer ist.

Kommentare

Herr Droop, Sie schreiben von einer "überhasteten Annahme der Kündigung". Bei einer Kündigung handelt es sich jedoch um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, welche mit ihrem Zugang beim Adressaten wirksam wird. Einer Annahme bedarf es für die Wirksamkeit nicht.

Die Kündigung der PariSozial war an die Bedingung geknüpft, dass die Stadt nicht bereit wäre, den Zuschuss um 100.000,-€ zu erhöhen. Der Beschlussvorschlag der Verwaltung im April sah diese Zuschusserhöhung auch vor. Es gab also Handlungsspielraum. Den hätte die Politik nutzen können für einen geordneten Prozess, z.B. für eine Zieldefinition mit allen Beteiligten, was die Weberei in Zukunft leisten soll, was von ihr erwartet wird und mit welchen Betreibern das am besten zu erreichen wäre. Insofern war die Annahme der Kündigung überhastet.

Herr Droop, vielen Dank zunächst für Ihre Antwort. Ich muss Sie dahingehend korrigieren, dass eine Kündigung bedingungsfeindlich ist. Sprich: eine einmal erklärte Kündigung ist wirksam, selbst wenn sie seitens des Erklärenden an Bedingungen geknüpft sein sollte. Da die PariSozial den Mietvertrag vorsorglich (und nicht unter der Bedingung eines erhöhten Zuschusses) gekündigt hat, ist diese Kündigung natürlich wirksam. Nochmals: eine Kündigung bedarf zu ihrer Wirksamkeit keiner Annahme. Die PariSozial hat vielmehr erklärt, die Kündigung unter der Bedingung einer erhöhten Zuschussgewährung zurücknehmen zu wollen - eine Zurücknahme einer solch einseitig gestaltenden Willenserklärung ist jedoch unter derartigen Bedingungen erst recht nicht möglich.