Pressemitteilung des Netzwerkes Gütersloher Armutskonferenz zur Situation ‚Tönnies‘
Gütersloh, 25.06.2020: Das Netzwerk Gütersloher Armutskonferenz lud bereits im letzten Jahr zur zweiten Armutskonferenz ein. Thema: Prekäre Arbeit = Prekäres Leben?
In Arbeitsgruppen wurden u.a. diese Themen besprochen und Anträge an Politik und Verwaltung formuliert:
- Werkverträge
- Kinderarmut
- Wohnen
Corona hat wie ein Brennglas auf diese Problematik der Werkverträge und Wohnverhältnisse der betroffenen Werkarbeiter – hier insbesondere bei dem Fleischkonzern Tönnies - hingewiesen.
Werkverträge nach § 631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wurden einmal eingerichtet, wenn in der Belegschaft kaum jemand die Arbeit beherrscht bzw. sie so selten anfällt, dass es sich nicht lohnt, jemand einzustellen.
Tönnies aber hat diese Möglichkeit schamlos ausgenutzt und zu einem menschenverachtenden Geschäftsmodell ausgefeilt: etwa um Tarif- und Mitbestimmungsrechte auszuhebeln. Die Fleischwirtschaft – hier besonders Tönnies – nutzt das Modell weidlich aus – und niemand stoppt ihn. Bei Tönnies in Rheda werden bis zu 30 000 Schweine täglich geschlachtet und zerlegt. Dem Auftraggeber Tönnies ist es dabei völlig egal, wie und mit wie vielen Menschen die Subunternehmen das machen. Und billiger als diese Menschen einzustellen, ist es natürlich auch. Werden diese Arbeiter nicht gebraucht, läuft der Vertrag einfach aus. Werkaufträge sind hier dann Sachkosten, KEINE Personalkosten. Menschen zählen nicht.
Das ausbeuterische System der Fleischindustrie ist bei der Bevölkerung in OWL bekannt. Aber auch Verwaltung und Politik kennt seit Jahren diese Problematik, die nun ihren Höhepunkt beim größten Fleischzerleger Tönnies offen gefunden hat.
Diese Werkarbeiterverträge, die Massenunterkünfte, die Zustände der Zubringerdienste in Bussen, die Isolation und wirtschaftliche Ausbeutung der Menschen zumeist aus Südosteuropa, Rumänien, Bulgarien und auch aus Polen sind unbeschreiblich.
Die Armutskonferenz, aber auch viele andere Initiativen, Gewerkschaften, Kirchen und Gruppen haben seit Jahren auf diese Missstände, auf das System Tönnies hingewiesen – bisher ohne Erfolg.
Die Politik auf Bundesebene hat sich in den vergangenen Jahren, wenn überhaupt, nur halbherzig engagiert. Sie hat sich mit einseitigen Selbstverpflichtungen der Fleischindustrie zufriedengegeben und weder konkrete Vereinbarungen getroffen, geschweige denn konkrete Vorgaben gemacht und kontrolliert. Auch auf Kreispolitikebene ließ das Engagement an den entscheidenden Stellen zu wünschen übrig.
Die Coronapandemie hat diese unerträglichen Umstände der Werkvertragsarbeiter endlich ans Tageslicht gebracht. ‚Null Vertrauen in das Unternehmen Tönnies‘, hat der Leiter des Krisenstabes beim Kreis, Thomas Kuhlbusch, gesagt. Endlich. Wobei man aber auch hier leider festhalten
muss, dass Landrat Adenauer dieses System Tönnies seit Jahren kennt und es hat geschehen lassen.
Ministerpräsident Laschet, Gesundheitsminister Laumann waren vor Ort. Sie kündigten eine Studie zum Ausbruchsgeschehen der Pandemie bei Tönnies sowie Untersuchungen wegen möglicher Verstöße gegen den Arbeitsschutz an. Ein Ende von Werkverträgen in der Fleischindustrie bei Tönnies nach derzeitigem Vorgehen sei nötig. Auch die unzumutbaren und ausbeuterischen Wohnverhältnisse in Massenunterkünften müssten dringend verbessert werden.
Wir, das Netzwerk der Gütersloher Armutskonferenz, fordern daher von Politik und Verwaltung vor Ort und im Bund, dass diesen Worten auch schnellstens Taten folgen müssen. Die Arbeits- und Wohnverhältnisse dieser Werkvertragsarbeiter müssen endlich gesetzlich geregelt werden. Das heißt aber auch, dass der ‚Runde Tisch‘ vor Ort hier schnellstens Ergebnisse liefern muss, um die schlimmen Zustände im System Tönnies zu beheben. Denn diskutieren kann man – so Gesundheitsminister Laumann – mit diesen Leuten von Tönnies und seinen Subunternehmern nicht mehr. Was auch heißt, dass ähnlichen Konzernen/Betrieben mit Werkvertragsarbeitern (z.B. Amazon) eine ‚klare Kante‘ gezeigt werden muss. Wehret den Anfängen.
Erst eine Pandemie hat leider diese katastrophalen Lebensbedingungen der Werkvertragsarbeiter an die Öffentlichkeit gebracht, ins Bewusstsein gerückt. Ein Weggucken ist jetzt unmöglich geworden. Jetzt braucht es konkrete und wirksame Verbesserungen.
Für das ‚Netzwerk Gütersloher Armutskonferenz‘
Detlef Fiedrich (Initiative Demokratie wagen, Gütersloh)