Das kurze Leben direktdemokratischer Beteiligung in Gütersloh

  • 28 January 2014
  • jdroop

Noch in der letzten Woche forderte diesmal die FDP will einen Ratsbürgerentscheid über die Sanierung des Heidewaldstadion. Im Sportausschuss am 28.1.2014 sollte dazu ein Antrag vorbereitet werden.

Im Wortlaut der FDP-Stadtratsfraktion heißt es: „Wir wollen die Entscheidung in die Hand der Bürger legen, weil es hier auch um eine Richtungsentscheidung geht. Schließlich gehe es um eine mit öffentlichen Mitteln zu bewirkende Investition in private Infrastruktur, da das Gelände dem Schützenverein gehört. Erschwerend kommt hinzu, dass der derzeitig Pachtvertrag in vier Jahren ausläuft. Das ist so, als würde die Stadt Gütersloh einer Privatperson die Sanierung des gemieteten Hauses bezahlen.“

Das Ergebnis aber kam schnell: „Einstimmig empfahl der Sportausschuss, die erforderlichen bautechnischen Maßnahmen umzusetzen und die dafür vorgesehenen Investitionsmittel - insgesamt 570 000 Euro bis zum Jahr 2016 - bereit zu stellen.

Die Sitzung im Kleinen Saal der Stadthalle verfolgten zahlreiche Zuschauer und Zuschauerinnen, darunter viele Fans des FC Gütersloh. Der Antrag auf Vertagung der FDP, die einen Bürgerentscheid zum Gütersloher Traditionsstadion durchführen wollte, wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt.“ So die Pressemeldung der Stadt. Einstimmig! Also auch von der FPD.

Das zeigt: Direktdemokratische Beteiligungselemente wie ein Ratsbürgerentscheid haben eine äußerst geringe Halbwertzeit in der Stadt Gütersloh. Und: sie sind in der Regel nicht wirklich gewollt, sondern dienen einzig der politischen Rhetorik und dem Säbelrasseln innerhalb der Parteiapparate.

Trotzdem, dass der geplante Ratsbürgerentscheid nicht über das Leben einer Dreitagesfliege hinausreichte, hier ein kurzer Überblick über den Werdegang von Ratsbürgerentscheiden in der Stadt, die den obigen Eindruck erhärten:

  • Zwei kurze Schlenker vorab

Die Ankündigung des Ratsbürgerentscheides publizierte die FDP zunächst über die traditionellen Medien, wie Lokalzeitung und Radio. Ihre eigene Homepage damit zu bestücken, das hatten sie dabei offensichtlich komplett vergessen. Die Notiz dazu findet sich dort erst am Abend, als selbst die Tageszeitung schon ausgedient in der blauen Tonne lag. Da hatten die Liberalen die Chance vertan, aktuell auf ihre eigene Seite zu verlinken.

Vergessen darf man zudem nicht, dass die FDP seit ihrer Pulverisierung in der Bundestagswahl nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten ist. Nun rudert die Restpartei - insbesondere die Jungen Liberalen - verzweifelt zu neuen Kontinenten. Wie verzweifelt dieser Versuch ist, zeigt sich derzeit auf der Homepage der JuLis auf Bundesebene, die die Kommune 1 und die Alt-68er-Bewegung bemüht, um sich selbst als eine Art Wiedererweckung dieser Bewegung zu deklarieren, also als APO 2.0. Hier der Link zur homepage: http://www.julis.de/apo.html

Dabei bleibt dem Betrachter die Spucke weg. In diesem Versuch, sich als APO 2.0 selbst neu zu verorten und Werte der Bürgergesellschaft wieder aufleben zu lassen, scheint sich auch die nächste Generation der Gütersloher FDP einreihen zu wollen. Ein gewagter Versuch, der das kollektive Wählergedächtnis (Mövenpick, spätrömische Dekadenz) hart auf die Probe stellt.

  • Beteiligung in Gütersloh

Ein Ratsbürgerentscheid ist ein Instrument der direkten Demokratie – wenn auch der Rat diese Entscheidung trifft, so könn(t)en doch am Ende die Bürger ihre Stimme abgeben und eine Sachfrage entscheiden. Allerdings: Hier gilt es die Hürde eines Quorums von 20 % zu überwinden. „Die Frage ist in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit mindestens 20 vom Hundert der Bürger beträgt. Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet.“ (Satzung Bürgerbegehren in GT)

  • Mehr Bürgerentscheide in GT – Vorschlag auch in Bürgerhaushalt

Die Idee, mehr Bürgerentscheide in Gütersloh herbeizuführen, ist übrigens ein Vorschlag auch aus dem Bürgerhaushaltsverfahren 2013, nämlich B55 von „stadtbuerger“ eingestellt. Da wir als Demokratie wagen! die Anonymität im Bürgerhaushaltsverfahren durchgefochten haben, kann man hier nicht sagen, wer das ist. Also auch nicht zwingend ein FDPler.

http://www.buergerhaushalt.guetersloh.de/vorschlag/mehr-buergerentscheid...

Die Verwaltung bewertete den Vorschlag im Bericht für den Hauptausschuss am 10.12.2012 übrigens wie folgt:

B55 Mehr Bürgerentscheide in der Stadt
Abstimmungsergebnis: 45 Pro, 8 Neutral; 3 Contra bei 9 Kommentaren
„Bei geplanten größeren Investitionen sollte der Bürger mehr einbezogen werden und zwar in Form von Bürgerentscheiden.“

Stellungnahme:
Die Gemeindeordnung sieht verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung vor. Darüber hinaus beinhalten andere Gesetze Instrumente der Bürgerbeteiligung (z. B. im Rahmen der Bauleitplanung). Insgesamt prägt aber der Grundsatz der repräsentativen Demokratie unser Verfassungs- und auch Kommunalverfassungsrecht. Plebiszitäre Elemente, wie z. B. das Bürgerbegehren/der Bürgerentscheid, ergänzen lediglich das repräsentativ-demokratische System um ein Element unmittelbarer Demokratie.
An die Durchführung eines Ratsbürgerentscheides (Bürgerentscheid auf Veranlassung des Rates) hat der Gesetzgeber daher ebenso besondere Voraussetzungen geknüpft, wie an das Bürgerbegehren/den Bürgerentscheid. Ohne das repräsentativ-demokratische System grundsätzlich in Frage zu stellen, ist sich die Verwaltung bewusst, dass partizipativ ausdiskutierte Problementscheidungen oftmals eine größere Akzeptanz genießen und die kommunale Identifikation sowie Integration fördern.
Aus diesem Grund beteiligt die Stadt Gütersloh ihre Bürgerinnen und Bürger über die gesetzlichen Standards hinaus an Prozessen. Ein Beispiel hierfür ist der Bürgerhaushalt.
Vor Kurzem wurde im Übrigen ein Flyer veröffentlicht, der über die Instrumente der Bürgerbeteiligung in Gütersloh überblickartig informiert.

Wertung:
Ob sich die Zahl der Bürgerentscheide erhöht, ist eine Frage der politischen Initiative (Bürger, Rat) und des jeweiligen Entscheidungsgegenstandes bzw. der Zulässigkeitsvoraussetzungen.

Zu dieser Ausführung und Wertung gab es übrigens seitens der Politik keine Wortmeldungen. Der Wertung wurde einstimmig zugestimmt. Die FDP hatte einer Fortführung des Bürgerhaushaltes bereits nach dem ersten Durchlauf deutlich kritisch gegenüber gestanden.

  • Ratsbürgerentscheid hat Geschichte in GT

Der Ratsbürgerentscheid ist also nicht neu in Gütersloh. Es hat schon eine Geschichte. Und die gilt es zu kennen, wenn man sich als Bürger der Stadt dafür erwärmen kann und einen Funken Hoffnung auf direkte Beteiligung in sich trägt:

Die BfGT hatte bereits am 25.1.2008 (letzte Ratsperiode) einen ersten Anlauf im Rat gemacht: es ging um den Theaterneubau, der aber vertagt wurde, bis konkrete Zahlen für den Theaterneubau vorlägen. Am 25. April 2008 kam das Thema erneut auf den Tisch. Damals stimmte ein Ratsmitglied dafür und 40 Ratsmitglieder dagegen. Damit war der Antrag abgelehnt und nicht einmal ansatzweise diskutiert.

Zum zweiten Mal tauchte der Ratsbürgerentscheid dann ganz plötzlich im Rat am 19.3.2010 auf und verwirrte die Ratsmitglieder, die teilweise nicht einmal wussten, was genau dieses Instrument denn ist. Die SPD hatte diesen ins im Rahmen der Haushaltsberatungen und den Streichungen der Schulbibliotheken als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung ins Spiel gebracht und hatte sich selbst vorher schlau gemacht: Damals beantragte der SPD-Fraktionsvorsitzende diesen Ratsbürgerentscheid, um die Bürger selbst über diese Streichung entscheiden zu lassen. Weil viele Ratsmitglieder völlig unvorbereitet waren und ohne Kenntnis, wurde die Sitzung unterbrochen. Zur Beratung. Am Ende aber kam es nicht zu einem Ratsbürgerentscheid. Das Gremium entschied über den Wirtschaftsplan, ohne den Ratsbürgerentscheid weiter zu verfolgen.

Zwei Anläufe, keinmal Erfolg. Einen Ratsbürgerentscheid gab es in Gütersloh noch nicht. Die Politik konnte sich keinmal dazu durchringen und eine Mehrheit finden. In Folge kam es lediglich zur Satzungsnovellierung zur Durchführung von Bürgerentscheiden wie an anderer Stelle beschrieben.

  • Ausschussprotokolle als Zeitzeugen für Demokratieverständnis

Und noch eine Notiz am Rande, die es erleichtern sollte, das (nun ja schon dahin geschmolzene) Ansinnen der direkten Demokratie der FDP besser einordnen zu können, wenn es um die HALTUNG zu demokratischen Verfahren innerhalb der Ratsperiode geht.

Im Finanzausschuss am 1.10.2012 informierte Kämmereileiter Norbert Monscheidt über den aktuellen Stand der Beteiligung am Bürgerhaushalt 2013. „Es sei festzustellen, dass eine Vielzahl der Vorschläge und Kommentare von nur einer kleinen Anzahl von Benutzern abgegeben worden seien. FDP-Ratsherr Florian Schulte-Fischedick erklärte dazu, es sei wünschenswert, diese wenigen Aktiven zur Mitarbeit in den Fraktionen zu bewegen.“

In gleicher Sitzung des Finanzausschusses vom 1.10.2012 stimmte Florian Schulte-Fischedick einem nicht-öffentlichen Workshop zu: „Dr. Förster (CDU) schlug vor, dass Vertreter der Fraktionen und der Verwaltungsvorstand sich in einem nichtöffentlichen Workshop vor der Einbringung des Haushaltsentwurfs in den Rat mit der Haushaltskonsolidierung befassen sollten.
Herr Dr. Förster erklärte, über Möglichkeiten zur Haushaltskonsolidierung müsse diskutiert werden, ohne einzelne Themen vorab auszuklammern. Könne in einer den Haushaltsberatungen vorgeschalteten Diskussionsrunde ein möglichst großer Konsens erzielt werden, würde dies eine Umsetzung in den Haushaltsberatungen erheblich erleichtern. Ohne bestehende Strukturen in Frage zu stellen oder grundlegend zu verändern müsse doch auf jeden Fall über Standards der Aufgabenwahrnehmung diskutiert werden. Dies gelte auch für den Investitionsbereich.“

Schulte-Fischedick stimmte der vorgeschlagenen Vorgehensweise zu. „Eine offene Diskussion ohne Tabuthemen werde dazu beitragen, bei den Gütersloher Bürgern Akzeptanz für den Umgang von Rat und Verwaltung mit den von der Stadt verwalteten Finanzmitteln zu fördern. Wichtig sei, dass sich die Verantwortungsträger über die Folgen eines Aufgabenverzichts oder einer Standardreduzierung in finanzieller Hinsicht einerseits und in ihrer Bedeutung für den Bürger andererseits im Klaren seien.“

Man darf gespannt sein, was sich die Politiker in diesem kommenden Kommunalwahlkampf noch einfallen lassen, wenn es sich um die Themen direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung handelt. Dann werden nicht nur echte Luftballons an den Wahlständen verteilt, sondern auch rhetorisch aufgeblasen, die nach der Wahl leicht wieder platzen können. Oder eben wie heute in einem Sportausschuss, wo am Ende doch wieder alles einstimmig über die Bühne geht. Ohne Bürger.


Anke Knopp für Demokratie wagen!
28.01.2014

Kommentare

Die lokale Demokratie schwächelt!

In den politischen Donnerstags-Blogs möchte Paradiesbauer Bürger, Parteien und Verwaltung anregen ihr Selbsverständnis zu überdenken und sich entgegenzukommen.

Die Zukunft der lokalen Demokratie setzt in der Reform von Kommunal-Politik (Rat u.a.) und kommunaler Verwaltung (Dezernate u.a.)an.
Um diesen Prozess in Gang zu setzen und in Fahrt zu halten, muss sich aber auch ein größerer Kreis von Mitbürgern ohne Klientelinteressen für lokale Belange interessieren und bereit sein in neu zu schaffenden oder erweiterten bekannten Gremien mitzuarbeiten.

Dieses Engangement ist für die partizipatorische Politikreform grundlegend!

Wie sonst sollen runde Tische, Konsensgespräche u.a. dialogische Verfahren, Bürger-Beiräte, Ombudspersonen, Bürgerkommissionen oder Perspektivwerkstätten funktionieren?

Gleichzeitig müssten sich die Parteien für überparteiliche Verfahren, Bürgerbefragungen, -begehren und -entscheide und die Personalerweiterung durch Panaschieren und Kumulieren öffnen.

Nur so kann lokale Demokratie gesunden!

http://www.paradiesbauer.de/2014/01/30/demokratie-lokale-erneuerung-komm...