Statement zur Aussage Bürgermeister Norbert Morkes “Politik bleibt handlungsfähig”

  • 20 January 2021
  • jdroop

Was sonst sollte ein Bürgermeister verlautbaren in einer Zeit der Pandemie: Dass Politik etwa nicht mehr handlungsfähig wäre?

Es ist die grundsätzliche Aufgabe von Staat und Verwaltung, ihre Arbeit gerade auch in Krisenzeiten hoch effizient, demokratisch, verantwortungsvoll und weitsichtig auszuführen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist dabei ein sehr hohes Gut in der Gemeindeordnung von NRW.

Wir wünschen uns daher, dass die zuständigen Gremien regulär tagen. Dies online und mit der Möglichkeit der öffentlichen digitalen Teilnahme. Abstimmungen könnten dann im Laufe der Sitzung per “Textform” erfolgen.

Diese Art der Abstimmung hat bereits schon einmal gegriffen und zwar bei einem viel gewichtigeren Vorgang: In der ersten Welle der Pandemie im März / April 2020 hatten die Ratsleute per Textform (E-Mail) zugestimmt, dass künftig der Hauptausschuss die Aufgaben des Rates übernehmen werde, weil hier weniger Mandatsträger präsent aktiv seien als im Rat.

Vor diesem Hintergrund hatte sich der Ältestenrat seinerzeit dafür ausgesprochen. Voraussetzung war, dass zwei Drittel der Ratsmitglieder einer Delegation an den Hauptausschuss zustimmen. Das Votum dazu wurde von den Ratsmitgliedern online eingeholt. (Website der Stadt vom 16.4.2020)

Mit dem Ziel einer möglichst konzentrierten und kurzen Sitzungsdauer wollte die Stadt damals schon anregen, die Tagesordnungen und damit den Ablauf der Sitzungen auf das Notwendige zu reduzieren. Dazu gehöre auch, dass die Fraktionen zu jedem Tagesordnungspunkt möglichst nur einen Wortbeitrag leisten sollen. Danach sollte die Abstimmung erfolgen. Ein ähnlicher Vorschlag liegt also nun wiederholt auf dem Tisch.

In Gütersloh hatten im letzten Jahr mehr als 2/3 der Mitglieder des Rates der Übertragung der Entscheidungsbefugnisse vom Rat auf den Hauptausschuss gem. § 60 Abs. 1 Satz 2 GO zugestimmt, so das Büro des Rates.

Ferner erläuterte das Büro des Rates: Die für die Stimmabgabe geforderte Textform unterliegt geringeren Anforderungen als die Schriftform. Ebenso wie ein Telefax oder ein Brief erfüllt auch die E-Mail das gesetzliche Merkmal „Textform“. Insofern erfolgte die Stimmabgabe der Ratsmitglieder durch eine schriftliche Erklärung per E-Mail.

Warum kann man dieses Verfahren nicht auch jetzt in der Abstimmung anwenden? Wir sind nun schon fast ein Jahr weiter und erfahrener im Umgang mit digitalen Handwerkszeugen. Nur in der Politik nicht?

Zudem wird dem jungen Rat, weil gerade erst gewählt, die Chance genommen, ausgerechnet in der Königsdisziplin der Haushaltsdebatte, seine differenzierten Positionen zu vertreten. Es gibt nun nur eine Gremiumssitzung light mit vorausgehender Absprache ohne Öffentlichkeit, in der nun alle angehalten sind, möglichst wenig bis nichts zu sagen. Wenig bis nichts sagen aber ist das Gegenteil von Demokratie. Demokratie lebt vom öffentlichen Aushandeln. Ihr Wesenskern ist damit in Frage gestellt. Die Mehrheit der Ratsmitglieder verhält sich merkwürdig still, da sie diesem Verfahren offenbar zugestimmt haben.

Wir brauchen die gesetzliche Möglichkeit, Rats- und Gremienarbeit künftig digital abzuhalten, abstimmen zu können und die Öffentlichkeit in Gänze zuzulassen. Wir vermissen den Einsatz für eine solche verbindliche Regelung. Wer weiß, wie lange die Pandemie noch anhält.

Außerdem erinnern wir noch einmal an den digitalen Bürgerhaushalt. Immerhin hat er uns drei Jahre und drei Haushalte begleitet und zeigte gute Ergebnisse: Hier war die Einbringung von Beginn an transparent. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, digital in den Haushalt hinein zu schauen. Er war gut verständlich aufbereitet. Jeder Bürger hatte die Chance, eigene Eingaben einzubringen, Vorschläge zu machen, Fragen zu stellen, zu kommentieren, zu diskutieren. Öffentlich! Anschließend gingen die Vorschläge aus der Bürgerschaft in die Ausschüsse zur Beratung. Leider wurde dieses digitale und vorausschauende Handwerkszeug von Verwaltung und Politik im Laufe der Jahre in Gütersloh angefeindet und dann schnell wieder abgeschafft. Der Bürgerhaushalt aber war der Zeit weit voraus, hätten wir ihn beibehalten, wären wir in der Pandemie besser gewappnet für das Beibehalten des demokratischen Diskurses.

Die Glocke, 23. Jan. 2021