Bürgerrat Gütersloh - Format mit Mängeln

  • 27 September 2022
  • jdroop

Ein Bürgerrat wurde in Gütersloh durchgeführt. Jedenfalls nennt sich das Format so. Aber ist auch ein Bürgerrat drin, wo Bürgerrat draufsteht?

Als Antragsteller für die Durchführung eines Bürgerrates in Gütersloh im Februar 2020 haben wir das Verfahren leider nur aus der Ferne beobachtet. Im November 2021 hatte der Rat der Stadt Gütersloh endlich entschieden, einen Bürgerrat durchzuführen, dies unter der Federführung von LOSLAND, einem Projektträger von Mehr Demokratie e.V. und unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Fragestellung lautete schließlich: Enkeltaugliches Gütersloh: Wie und was können wir in Gütersloh teilen, um zusammen nachhaltiger zu leben?
https://ratsinfo.guetersloh.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZXrEx95EFmvg...

Nach dem Beschluss im November 2021 wurde das Verfahren sehr intransparent - in der Öffentlichkeit wurde kaum etwas dazu bekannt. Die Stadt veröffentlichte lediglich eine Website dazu, die jedoch nur über einige Kerninformationen informiert, also nur unzureichend über den BR berichtet.
https://www.guetersloh.de/de/themen/buergerrat.php

Wir möchten es uns trotz dieser Einsilbigkeit in der Kommunikation nicht nehmen lassen, das Verfahren in Gütersloh zu kommentieren.

Zentrale Punkte des Verfahrens verdienen besondere Aufmerksamkeit, denn sie sollten als Mängelliste zügig behoben werden, wenn dieses besondere Format von LOSLAND nun häufiger zur Anwendung kommen sollte. Denn der Bürgerrat in Gütersloh ist speziell und unterscheidet sich deutlich von dem “eigentlichen” Format von “Mehr Demokratie e. V.”.

Wer unseren Blog liest, findet hier also anschließend unsere Bewertung anhand der von uns bereits im Vorfeld gelisteten Kriterien des Erfolgs (es sind nur einige Streiflichter, keine ausführliche Analyse).

Öffentlichkeit / Transparenz

Die Lokalzeitungen berichten nach dem Bürgerrats-Wochenende über die Ergebnisse desselben. Eine begleitende öffentliche Berichterstattung im Vorfeld hat leider nicht stattgefunden. Auch die Stadt GT selbst und LOSLAND als Projektpartner verhielten sich sehr still - Informationen über den Fortschritt in der Planung und Umsetzung gab es kaum. Beide haben ihre eigenen Informationskanäle kaum genutzt, um das Format und seine Teilnehmer bekannt zu machen.
https://www.guetersloh.de/de/rathaus/presseportal/news/meldungen/buerger...

Der Prozess der Entwicklung des Formates nach Beschluss im Rat bleibt daher weitestgehend unbeleuchtet - und in der Stadtgesellschaft unbekannt. Er ist weder in seinem Format noch in seinem “Können” in der Öffentlichkeit erklärt worden, geschweige denn als bekanntes Format nun fest verankert.

So fand der Bürgerrat als eigentlicher Leuchtturm für die Vitalisierung der Demokratie im tiefen Schatten statt. Zu befürchten ist, dass im Anschluss auch diejenigen, die als Teilnehmer zum Zuge kamen, sehr wohl “Lust” am Einbringen bekommen haben - am Ende des Prozesses aber auch frustriert zurückbleiben, wenn erkennbar wird, dass sie auf den weiteren Verlauf der Bündelung der Empfehlungen keinen Einfluss haben.

Unsere Fragen zum Themenkomplex “Öffentlichkeit” konkret:

  • Wir hätten uns gewünscht, dass die Steuerungsgruppe öffentlich tagt:
  • - Dass bekannt wäre, welche Vertreter aus den politischen Fraktionen sowie den Fachbereichen der Verwaltung im Gremium der Prozessgestaltung aktiv mitwirkten.
    - Dass es zum Verfahren und zum Diskussionsstand alle Informationen im Ratsinformationssystem gibt.

  • Welche Institutionen und welche Expertise wurden als Inhalt für den Bürgerrat eingeholt? Wurden dabei auch Gütersloher Initiativen etwa aus dem Klimabereich oder Sozialbereich berücksichtigt, kamen überhaupt Fachleute zu Wort, wer lieferte Grund-Input? Und an welche Informationen kamen die Teilnehmer selbst - lagen Daten vor?
  • Warum findet sich so wenig Information sogar auf der Website der Stadt Gütersloh?

Rollenverteilung kritisch

Bei einem Bürgerrat kommt unserem Stadtrat die Rolle des Vorschlagempfängers, des Beratungsgremiums und des Entscheiders zu, die Rolle des Steuerers eher weniger. Trotzdem war die Steuerungsgruppe außer den Verwaltungsmitarbeitern ausschließlich mit Ratsmitgliedern besetzt. Interessenkonflikte sind so nicht auszuschließen.

Dabei gibt es in der Gütersloher Stadtgesellschaft viele lebendige und engagiert arbeitende Organisationen, Verbände und Initiativen aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen, aus denen man Mitglieder für diese Steuerungsgruppe hätte rekrutieren können. Das hätte dem Anspruch entsprochen, die demokratischen Prozesse in der Stadt zu vitalisieren und transparenter zu machen. Es hätte die Idee des Bürgerrates in die Stadtgesellschaft getragen und Interesse geweckt. So ist jedoch der Eindruck entstanden, dass man in Politik und Verwaltung lieber unter sich bleiben wollte.

Vorkenntnisse

In den Kennzeichen für geloste Bürgerräte, die einst von “Mehr Demokratie e.V.” definiert wurden, findet sich der Passus:
“Die Teilnehmenden müssen keine besonderen Vorkenntnisse haben. Eine professionelle Diskussionsleitung und verständlich aufbereitete Informationen durch Expertinnen stellen sicher, dass auch komplexe Sachverhalte bearbeitet werden können.”
Welche aufbereiteten Informationen haben die Gütersloher TeilnehmerInnen bekommen und waren Expertinnen zugegen? Stehen uns Bürgerinnen und Bürgern diese Informationen auch zur Verfügung für den anschließenden Online-Prozess?

Verfahrensfortschritt

Die Ergebnisse wurden in einem sogenannten öffentlichen Zukunftsforum im Ratssaal der Öffentlichkeit vorgestellt. Eine frühzeitige Bewerbung der Veranstaltung fand nicht statt. So blieben die Aktiven des Bürgerrates und einige wenige Interessierte weitestgehend unter sich.

Im Fortgang der Ergebnisse sollen diese laut einem Beitrag im “Westfalen Blatt” nun von der Steuerungsgruppe bestehend aus Mitgliedern der Politik und Verwaltung zusammengefasst und der Politik als Handlungsempfehlungen vorgelegt werden: Sind also die politischen Repräsentanten aus der Steuerungsgruppe diejenigen, die die Ergebnisse dann ihren eigenen Kollegen vorlegen?

Nach welchen Kriterien wird dann entschieden - hat man sich im Vorfeld auf einen Kriterienkatalog geeinigt? Welche Faktoren müssen erreicht sein, um über “Erfolg” zu sprechen? Gibt es Konsens darüber, wie diskutiert und dokumentiert wird? Dies ist nicht unerheblich bei der Diskussion, ob ein solches Format fortgesetzt werden soll - oder nicht.

Diese Ergebnisse sollen auch auf einer Online-Plattform eingestellt werden (ab dem 26.9.20222), mit der Möglichkeit der öffentlichen Lesbarkeit und Kommentierung der sieben Vorschläge aus dem Bürgerrat - sind das bereits die zusammengefassten Vorschläge oder die Originale des Bürgerrates? Wer moderiert diesen Prozess, wie fließen die Ergebnisse in den politischen Diskurs im Rat mit ein? Nach welchen Bewertungen werden diese Prozesse ausgewertet? Welche Rolle spielt dabei LOSLAND, welche die Verwaltung?

Und: Werden die Ursprungsergebnisse des Bürgerrates im Original weiterhin dokumentiert, so dass man den “Einschmelzprozess” im Verlauf noch erkennen kann? Werden diese online abrufbar sein? Und wie lange?

AKTUELL: Kommentierung online

Seit dem 26.9.22 kann nun kommentiert werden. Allerdings: Auf der Website von LOSLAND. Auf der Website der Stadt unter der Rubrik “Bürgerrat” ist lediglich auf die Website von LOSLAND verlinkt. Kommentieren kann auch nur jemand, der sich registriert hat. Hier gibt man dann Namen und E-Mail-Anschrift bekannt. Ein anonymes Kommentieren ist nicht vorgesehen. Die Stadt scheint sich dieser Verantwortung entledigt zu haben, wer hostet nun die Daten? (Ist immerhin CONSUL, ein Open Source Produkt)

Und es stellt sich die Frage, warum gab es “nur” sieben Empfehlungen? Sind das Ergebnisse auf möglicherweise sieben anfangs gestellte Fragen oder Politikfelder, in denen “geteilt” werden könnte?

Hier der Link auf LOSLAND:
https://mitmachen-losland.org/guetersloh-onlinebeteiligung

Schließlich…

Es stellen sich also zahlreiche Fragen - die schon auch zur Sprache kommen sollten, denn es war doch ein Versuch. Mit der brisanten offenen Frage: Wie weiter NACH dem Bürgerrat? Ist das jetzt ein neues Handwerkszeug für Politik und Verwaltung - ja oder nein?
Und für die Bevölkerung, ist das ein Handwerkzeug mit Freude am demokratischen Diskurs - oder Frust?
Gespannt sein muss man gleichermaßen auf die Evaluation durch LOSLAND. Sie werden wohl nicht ihr eigenes Projekt torpedieren…

Neue Westfälische, 23.09.22

Die Glocke, 23.09.22